Obdach in der Filmkulisse

Manchmal führen Schilder nicht dorthin, wohin sie zu führen scheinen. Dann erzählen Orte nicht die erwartete Geschichte, sondern eine ganz andere. Das Schild, das wir im kroatischen Norden in den Bergen entdeckten, war cool. Ein hölzerner Wegweiser, der von der Landstraße kurz vor Lokve in den Wald wies, mit der Aufschrift „Winnetou – Roswell“. Ich habe, führe ich hier mal nicht aus, alle Winnetou-Filme als Kind ungefähr 125 Mal gesehen und es war also völlig alternativlos, diesen Drehort zu besuchen. Aber das war nicht, was wir fanden.

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Wir liefen also in den Wald. Ein breiterer Weg führt bergab, durch ein Tal, noch recht kahler Laubwald und viele Nadelbäume. An Wiesenflächen mit langem gelbem, verdorrtem Gras vorbei. Ein winziger Bach begleitet den Weg, ein Rinnsal mehr, das sich seinen Weg durch den Waldboden frisst. Kein Mensch ist da. Es ist ein sonniger Tag, der Berghimmel blau mit ein paar Wolken. Ich wundere mich ein bisschen, nichts wieder zu erkennen. Keine charakteristischen Kalkfelsen jedenfalls, kein bekannter Baum oder Strauch. Aber das würde man nach so vielen Jahren ja auch vielleicht nicht erkennen.

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Das Wildwest-Dorf selbst besteht aus ein paar lieblos gebauten Alibi-Holzhütten. „Chinese Laundry“ steht auf einem der Gebäude. Was auch immer das hier ist, denke ich, die originale Winnetou-Kulisse ist es nicht. Touristen sind nicht zu sehen, ein Kassenhäuschen verwaist. Aber der Ort lebt. Aus einer der hinten liegenden Hütten kommen zwei kleine Mädchen, nicht erkundend, sondern wie zu Hause. Rauch steigt aus einem der Tipis. Und links, in der Kulisse, sitzen auf einem Auto zwei Männer.

Eine selbst gemachte Schaukel steht neben ihnen. Sie sehen auf schwer definierbare Weise arm aus. Sie sind keine Besucher an diesem verlassenen Ort. Das hier war mal eine Filmkulisse, aber jetzt ist es etwas anderes. Immer mal wieder sehen wir, als wir durch den kroatischen Norden nahe der slowenischen Grenze fahren, Menschen, deren Lebensumstände sich scharf von der recht wohlhabenden Umgebung abheben. Zwischen sehr wohlhabenden oder auch bröckelnden Häusern kommen dann plötzlich kleine Abschnitte, wo Leute, wohl Geflüchtete, wörtlich unter Müllplanen hausen, oder andere Leute in Baracken.

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„Ist das die echte Kulisse?“, frage ich auf Englisch. Die Geschichte an diesem Ort, das ist mir da schon klar, ist nicht der Film. Der eine Mann, Wollhemd, rausgewachsener Iro, eine Aura zwischen Aussteiger und Armut, nickt sympathisch. Englisch spricht er kaum, aber er winkt uns, ihm zu folgen, und beginnt – enthusiastisch, weil er annehmen muss, dass wir enthusiastisch seien – uns herum zu führen. Hier die Wäscherei, da der Bestatter, da der Saloon.

In einem Gebäude, das eine Bank darstellt, hängen ein paar Fotos vom Dreh, und ich kapiere das Missverständnis. Nicht die originalen Winnetou-Filme wurden hier gedreht, sondern das richtig schlechte Remake von vor einigen Jahren, das kaum jemand kennt. Was hat dieses Filmteam sich gedacht? Dass hier ein Pilgerort mitten im Nichts entstehen würde, für diesen Fernsehfilm? Was für eine Hybris. Die Leute, die im Sommer kommen, entnehme ich hinterher Rezensionen, kommen nicht wegen der Kulisse her, sondern für Ponyreiten.

Ich frage den jungen Mann, ob er hier arbeitet. Er verneint. „Ich lebe hier“, antwortet er auf Kroatisch. „Ich lebe hier mit meiner Frau.“ Ich verstehe, weil vieles dem Russischen ähnlich ist. Und ich verstehe im doppelten Sinne. Mir ist zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, dass man sich auf Russo-Kroatisch zumindest passabel verständigen kann. Er will uns erzählen, aber die Unterhaltung auf Englisch scheitert. Die Geschichte bleibt unerzählt.

Die Mädchen spielen draußen vor der Hütte. Er macht eine Geste rundherum: „My home“, sagt er. Es ist ein hübsches Tal. Aber es muss hart sein zu dieser Jahreszeit. Auf dem Rückweg von diesem eigenen Ort kommt der Mann noch mal an uns vorbei. Er fährt ein altes Auto, dessen Kofferraum fehlt, zum Wald. Er steigt mit einem Plastikkanister aus und geht Richtung Rinnsal, lächelt uns zu. „Voda – Water“. Dann verschwindet er im Wald. Tiere oder einen Acker sehen wir keine. Ob jemand sie bezahlt, diese Hütten zu bewachen, oder wovon sie leben, wissen wir nicht.

Ort: Cowboy Village Roswell Fužine auf halbem Weg zwischen Lokve und Fužine im kroatischen Nordwesten. Am besten zu Fuß von der nördlichen Landstraße hingehen, der Weg ist nicht weit

Was man da machen kann: Ein winziges Filmmuseum gibt es, das aus ein paar Tafeln besteht. Im Sommer ein bisschen Wildwest-Programm. Im Winter hat der Ort einen eigenen, abseitigen Charme. Wandern kann man auch, die Berglandschaft ist sehr schön

Und in der Umgebung: Nahe Lokve ist ein großer See, der Omladinsko Jezero. Zumindest außerhalb der Saison stört sich niemand daran, wenn man auf dem Parkplatz direkt am Wasser steht. Drumherum führt ein Wanderweg.

Veröffentlicht von

Alina Schwermer

Freie Journalistin, schreibt viel für die taz, für die Deutsche Welle, aber auch für die Jungle World und wer sie sonst so fragt. Am liebsten über Sport und Reisen. Wollte nie einen Reiseblog machen und hat nicht lange durchgehalten.

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