Die umgekehrte Migration

Ganz Zagreb trägt Sonnenbrille an diesem Vormittag. Das passiert, soweit ich es beurteilen kann, in jeder kroatischen Stadt bei jedem Sonnenstrahl. Es ist Ostermontag, es ist stürmisch und warm, und das Leben blüht im Bundek Park, einem großen Stadtpark am Fluss Save. Eltern drängeln sich mit ihren Kindern auf den Spielplätzen, ein paar Leute hocken am See, der eher eine riesige Kiesgrube mit einer Lache Wasser ist, und im Café am See muss man schon mal den Tisch teilen, um einen Platz zu bekommen.

Der Taxifahrer, der exzellentes Deutsch spricht und uns zwanzig Minuten lang vorträgt, dass Corona eine Erfindung der Pharmaindustrie sei, versteht nicht, was wir hier wollen, im Süden der Stadt. Die touristischen Orte seien, falls wir das nicht wüssten, woanders. Das Leben sehen? „Hier seht ihr nicht viel.“ Er irrt. Dieser Teil von Zagreb, der südlich des Bahnhofs beginnt, wirkt beinahe wie eine andere Stadt, mit Plattenbauten statt Barock, breiten Straßen statt engen Gassen, sozialistischer Architektur.

Der Bundek Park ist die Kompromiss-Empfehlung des Taxifahrers. Als wir im Café sitzen, dauert es keine fünf Minuten, bis wir von einem älteren Paar angesprochen werden. Der Mann, weiße Haare, Sonnenbrille, sieht aus wie eine Zagreber Version von Heino. Er fragt, wo wir herkommen. Wir erklären. „Ich bin aus Mülheim an der Ruhr“, sagt seine Frau in perfektem Deutsch.

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Ich versuche, mir die Geschichte zu erklären, kann es nicht und frage danach. Sie erzählt, dass sie schon ewig in Kroatien lebe. „Ich bin in Mülheim an der Ruhr geboren, meine Eltern waren Gastarbeiter aus Jugoslawien. Als ich zehn war, sind wir zurück nach Jugoslawien gegangen, Ende der Siebziger Jahre.“ Ich merke an, dass das eine interessante Bewegung ist, in die entgegengesetzte Richtung. Ja, interessant, stimmt der Mann zu. Haben die Eltern Jugoslawien vermisst?

„Nein“, sagt sie. „Aber meine Schwester wurde geboren und hier drüben war alles einfacher. Es war einfacher, Geld zu verdienen, wir hatten ein Haus, ein Unternehmen.“ „Damals haben wir im Gastgewerbe säckeweise Geld gemacht“, ergänzt Heino. „Das waren gute Zeiten.“ Er stamme aus der Nähe von Zagreb, aus der Region Zagorje, und habe ewig im Gastgewerbe gearbeitet mit eigenen Restaurants.

Er klagt darüber, dass seine 22-jährige Tochter, die in Italien studiert, nicht wisse, was sie später machen will. „Als ich 22 war, hatte ich schon meine eigene Firma, alles selbst aufgebaut.“ Ein Selfmade-Man alten Schlags. Später erfahren wir, dass die umgekehrte Migration nicht unüblich ist. Viele Menschen, die aus Kroatien nach Deutschland migriert seien, kämen zur Rente zurück und bauten sich ein Haus. Die schicken Häuser auf den Dörfern, lernen wir, sind die Häuser der Zurückgekehrten.

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Die Frau, die doppelt verwurzelt scheint, ist regelmäßig in Deutschland, sie hat noch viele Freunde und Cousinen da. Sie lächelt darüber, dass sich in Deutschland immer alle zu viele Sorgen machen würden, auch jetzt, mit Corona. „In Kroatien ist alles entspannter.“ Auch deshalb blieb sie hier. Wir erzählen auf Nachfrage von unserem Leben. Dass wir in einem Truck leben und arbeiten, ist für den Mann kaum vorstellbar („Wollt ihr mich verarschen? Das ist der Traum“).

Seine Gefährtin ist entspannter, selbstverständlicher. Sie mag die Idee. So sehr, dass ihr Mann irgendwann sarkastisch bemerkt, er habe in den letzten Minuten ungefähr zwanzigmal das Wort Freiheit gehört. „Ich habe Freunde in Deutschland, die arbeiten von früh bis spät und machen nichts anderes“, sagt sie. „Wir machen das in Kroatien anders, wir haben Zeit. Und es gibt das Meer hier. Ich arbeite in einem Unternehmen, aber im Sommer fahre ich jedes Wochenende nach Rab oder nach Rijeka ans Meer. Das ist Leben.“

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Eine Abkehr auch von der deutschen Strebsamkeit. Auch ihr Mann erzählt, als er vor ein paar Jahren sein Restaurant für immer geschlossen habe, das sei für ihn Freiheit gewesen. Aber jetzt will er den entgegengesetzten Weg gehen: Arbeit finden in Baden-Württemberg. Ohne zu schaffen, geht es für ihn nicht.

Die Stadt: Zagreb, die Hauptstadt

Was man da machen kann: Alles. Wir hatten das Glück, dass ein Freund uns durch die Altstadt geführt hat. Es lohnt auch eine abseitige Wanderung von Süd nach Nord: vom Bundek Park und der sozialistischer Architektur von Neu-Zagreb über die Altstadt bis in die wohlhabenden Vororte des Nordens und zu den bergigen Ausläufern des Medvednica-Naturparks.

Wo man was trinken kann: Zum Beispiel im Café „Sunce“, was das Wörterbuch als „Sonne“ vorschlägt, im Bundek Park. Neben Kaffee gibt es gute Smoothies und allerlei. Ein schöner Ort, um das Leben zu beobachten.

Wo man essen kann:
Unser Freund empfiehlt die Nikola-Tesla-Straße im Zentrum, wo sich ein Restaurant ans andere reiht. Wir waren im Byblos, das gut libanesisch kocht.

Veröffentlicht von

Alina Schwermer

Freie Journalistin, schreibt viel für die taz, für die Deutsche Welle, aber auch für die Jungle World und wer sie sonst so fragt. Am liebsten über Sport und Reisen. Wollte nie einen Reiseblog machen und hat nicht lange durchgehalten.

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