Vertrocknendes Paradies

Es gibt kein Wasser. Nirgendwo gibt es Wasser. Und es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass Salahs Leben durch den Klimawandel zerstört wurde. Er würde das nicht so nennen. Er sagt, „die Luftverschmutzung“ ist schuld. „Die Chemikalien.“ Früher, sagt er, gab es Wasser. Wir sitzen in seinem Heimatdorf in der Nähe von Tagounite, im Südosten Marokkos. Ein Dorf umgeben von Dattelpalmen inmitten von Geröllwüste und Felsen, das in seiner Schönheit etwas Disney-haftes hat. Die Häuser sind aus braunem Lehm gebaut wie alles hier, mit selbst hergestellten Ziegeln. Flach schmiegen sie sich an den Boden, wie um sich vor der Hitze zu schützen. Kasbah nennen sie die alten Dörfer hier. Wenn man auf dem Dach steht, sieht man nachts einen makellosen Sternenhimmel.

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Aber Salah, der eigentlich anders heißt, ist ein Zurückgebliebener. Einer, der an etwas glaubt, was, für viele sichtbar, dem Untergang geweiht ist. Die Bewässerungsgräben, die sich durch das Dorf und entlang der Felder ziehen, sind leer. So trocken, dass die Erde zerrissen und in einzelne Scherben zerbrochen ist wie im Film. Es hat das ganze Jahr über keinen Regen gegeben, nicht ein einziges Mal. „Die Trockenheit ist ein großes Problem.“ Jetzt, im Herbst, würden die Leute eigentlich die Felder bepflanzen. Salahs Familie würde Kartoffeln und Auberginen, Karotten und Tomaten anbauen.

Sie waren einmal größtenteils Selbstversorger – einen bezahlten Job hat Salah nur manchmal, wenn er für TouristInnen kocht, aber seit Corona gibt es auch die kaum hier. Und erst, wer längere Zeit in dem Dorf verbringt, sieht, wie still es ist im Vergleich zu anderen. Kaum ein Laut, traumhaft still, aber unnatürlich. Viele der Lehmhäuser sind verfallen. Stroh ragt aus den zerbrochenen Mauern, man kann in die nackten ehemaligen Wohnzimmer und Höfe blicken. „Nur noch drei Familien leben hier.“ Alle anderen sind weg, weil es kein Wasser mehr gibt.

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Wir verbringen mehrere Wochen bei Salah. Er bietet hier Freiwilligenarbeit für TouristInnen an, man kann ihm helfen, Lehmziegel herzustellen oder den Innenhof umzugestalten. Irgendwann möchte er aus dem alten Familienhof ein Hostel machen. Salah ist ein stiller, warmherziger Typ. Er trägt die traditionelle Kleidung der Wüste aus Gewand und Shesh, einer Art Turban. Keine Verkleidung, sondern die Standard-Klamotte vieler hier. Salah ist Berber, „ich fühle mich erst als Berber, dann als Marokkaner“, sagt er.

Sein Großvater zog noch als Nomade durch die Wüste. Einmal, als kleiner Junge, war er mit ihm mit dem Zelt unterwegs. An einem der ruhigen Abende erzählt er von damals, eine idealisierte Welt. „Als mein Urgroßvater dieses Haus hier gebaut hat, haben sie nur einen Monat dafür gebraucht. Das waren starke Männer, nicht wie wir heute. Sie haben gesund gegessen, ohne Chemie, und sie hatten große Herden von Schafen und Kamelen.“

Heute sind die Schafe und Kamele verkauft. Salah weiß, dass das alte Berberleben stirbt. Schuld ist nicht nur die Dürre, sondern auch der ewige Grenzkonflikt mit Algerien – die Grenze ist geschlossen, seit er klein war, die Stämme können nicht mehr frei über die Grenze ziehen. Ein Teil der Verwandtschaft gilt jetzt als Algerier, ein anderer Teil als Marokkaner. Sie sehen einander nicht mehr. Man lebte für eine Weile gut in der Sesshaftigkeit, solange es hin und wieder Wasser gab. Jetzt regnet es nicht mehr und der Herbst ist viel zu heiß.

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Seine Familie ist fort in Agadir, wie so viele Familien. Nur Salah klammert sich an die Idee, er könne hier irgendein Hostel aufbauen, in dem verlassenen Dorf weit weg von allem. Er hat noch ein zweites Problem neben dem Regen, das ist der verdammte Damm. Weiter oben in Ouarzazate gebe es jetzt einen Staudamm. „Seit sie den Damm gebaut und den Fluss gestaut haben, bekommen wir gar kein Wasser mehr.“ Manchmal öffnet die Regierung gnädigerweise den Damm, um die Dörfer unten zu versorgen. Zuletzt war er vor fünf Monaten offen.

Mohammed, der auch nicht so heißt, hat das, wovon Salah träumt. Seine Familie, ebenfalls einst eine Nomadenfamilie, hat weiter unten ein Camp für TouristInnen. Man reitet auf Dromedaren dorthin, was die TouristInnen sehr gern tun, und das Camp liegt inmitten von Sanddünen. Hier sieht die Sahara so aus wie in der Werbung. Das Camp hat Duschen und Sanitäranlagen. Um sie aufrecht erhalten zu können, karrt die Familie das Wasser mit dem Jeep in riesigen Kanistern heran. Eine irre Wasserverschwendung eigentlich, bedenkt man Leute wie Salah, die nicht mal ihr Feld bewässern können.

Er zieht ein bisschen Wasser aus der Zisterne; ein Auto kann er sich nicht leisten. Auch Mohammed macht sich Sorgen. „Der Klimawandel ist ein riesiges Problem für uns hier“, sagt er. Dass jemand gebildeter und wohlhabender ist, merkt man auch daran, dass er Klimawandel sagt, nicht Luftverschmutzung. Mohammeds Eltern noch waren Nomaden, jetzt ist die Familie sesshaft. „Es gibt kaum mehr jemanden hier, der wirklich durch die Wüste zieht, vielleicht drei, vier Familien.“

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Mohammed findet das eigentlich auch sinnvoll so. „Dann können sie die Kinder zur Schule schicken.“ Viele Familien pflegten auch eine Kombination: „Die Mutter wohnt mit den Kindern auf dem Dorf, der Vater in der Wüste, und alle paar Tage sehen sie einander. Mit den günstigen chinesischen Mopeds geht das heute einfacher.“ Mohammeds Familie hat ihre Dromedare noch. Aber sie stehen weit weg, dort, wo es ein bisschen Wasser gibt. „Wegen der Dürre.“ Letztes Jahr, erzählt er, habe es im Herbst drei Tage Regen gegeben.

Er beschreibt, wie die Wüste grün werde, wenn es regnet, und die Sehnsucht nach Regen ist so groß hier, dass man unwillkürlich wünscht, einen Regentag zu erleben. Mohammed glaubt, es werde bald viele Klimaflüchtlinge hier geben, auf den Dörfern könne man bald nicht mehr leben. Aber im Gegensatz zu den europäischen Schreckensszenarien haben die meisten nicht die Mittel, sich auf nach Europa zu machen. Sie dürften in Agadir landen. Als wir uns verabschieden, wünschen wir Mohammed Regen.

Natürlich gibt es noch ein zweites Problem hier, dass sind die ausbleibenden TouristInnen. Viele ehemalige Nomaden leben mittlerweile von diesen. Kaum irgendwo sieht man das so wie in Mhamid El Ghizlane, dem letzten Kaff vor der Sahara. Jeder Laden ist ein Restaurant, ein Hotel, ein Campingplatz oder bietet Dromedar-Touren, oder alles zusammen. Die Kinder, nicht ärmer oder reicher als anderswo, aber gut konditioniert, betteln routiniert-vergnügt auf Französisch die wenigen TouristInnen um einen Dirham oder einen Stift an.

Im Gegensatz zu Tagounite scheint Mhamid kein intaktes Dorf, sondern eigentlich eine Ruine des Tourismus. Dieselben Menschen, die maßgeblich in ihren Heimaten den Klimawandel vorantreiben, kommen hierher, um die Wüste zu sehen. Sie müssen kommen, damit die lokale Bevölkerung davon leben kann, und treiben damit deren Vertreibung von diesem Ort mittelfristig weiter an. Schrödingers Tourismus.

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Aber die Menschen vor Ort sind nicht nur Opfer, viele verhalten sich ähnlich idiotisch. Die Hotels wässern ihre Wiesen und Palmen, manche sogar die Gehwege. Wer es sich leisten kann, wässert die eigenen Felder für einen Hauch Grün. Statt zu gehen, versuchen sie, hier anzubauen, was nicht mehr angebaut werden kann. Wo Familie und Land alles sind, harrt man aus. Laila, die nicht so heißt, schaut in ihrer Freizeit auf das verfallene Haus ihres Cousins. Sie lebt in einem Dorf in der Nähe von Mhamid, die Tochter einer einst wohlhabenden Familie in einem riesigen Hof. Mehrere Stockwerke hat das Haus, 500 Jahre sei es alt.

Und gemeinsam mit ihrem Bruder hatte sie die bestechend kluge Idee, aus dem Haus ein kleines Museum zu machen. Für das Leben, wie es nicht mehr ist. Laila ist eine der wenigen Frauen, die hier sichtbar sind. Sie hat in Agadir Englisch und Arabisch studiert, und so macht sie die Führung durch das alte Haus.

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Sie zeigt Geräte, mit denen die Frauen früher Getreide mahlten und solche, in denen man Öl aufbewahrte, und sie erzählt, wie ihre Familie einst Wohlstand erlangte. „Sie haben Datteln angebaut und gehandelt, bis nach Zagora. Mhamid ist als Handelsort reich geworden. Sie hatten viele Felder.“ Ihre Familie sind Araber, keine Berber. Und sie bauen heute keine Datteln mehr an. „Seit zehn, zwanzig Jahren hat sich hier das Klima verändert“, sagt Laila. „Wegen der Luftverschmutzung.“ Die Palmen seien so trocken, dass sie keine Früchte mehr trügen. Die Bauern hätten Angst, zu säen, weil es kein Wasser gebe. „Fast alle aus dem Dorf sind weggegangen.“ Sie zeigt nach rechts, wo die Palmen etwas grüner wirken als links. „Da kämpfen sie noch.“

Wie so viele hier kann Laila sich nichts unter Deutschland vorstellen. Sie fragt nach der Corona-Situation, das beschäftigt sie aus ganz persönlichen Gründen – das kleine Museum eröffneten sie kurz vor der Pandemie, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Sie erzählt, dass sie manchmal gerne Tennis guckt. Und sonst? Die Welt hier ist begrenzt auf das Dorf und die Familie. Keine Bücher, kaum ein Fernseher. Wir fragen Laila, ob sie hier vor Ort bleiben oder woanders leben wolle. Sie versteht nicht. Ihre Familie ist hier, also ist sie hier.

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Salah hat auch schon mal drüber nachgedacht, wegzugehen aus dem Dorf bei Tagounite. Aber er will nicht. Noch nicht, jedenfalls. Er hat diese Idee mit dem Hostel. Eigentlich wirkt sie aber auch nicht so richtig ausgegoren. Seit Jahren beherbergt er Volunteers, ohne die Hostel-Idee umgesetzt zu haben. Sie geben ihm einen kleinen Obulus, das reicht zum Leben. Die Tage ziehen dahin bei ihm wie bei vielen, die keine Arbeit haben. Alles kann man genauso gut nächste Woche machen, oder übernächste Woche oder nie. Es fehlen die Geldmittel.

Der Garten, den die Volunteers für ihn anlegen, ist das bei diesem Klima wirklich sinnvoll? Wie soll dort je etwas wachsen? Schon seine recht traurigen Tomantensträucher tragen fast nie Früchte. Und welche TouristInnen würden hierherkommen, diese halbe Stunde von der Hauptstraße entfernt über ungeteerte Pisten und verschlungene, winzige Dorfwege, ohne überhaupt ein Straßenschild?

Aktuell holt er Leute einzeln auf dem Moped ab. Überall entlang der Hauptstraße steht die Konkurrenz: Hotels, die Sanddünen haben statt Felsen, und Dromedare und Sanitäranlagen. Wie wird er Vorräte und Wasser heranschaffen ohne Auto? „Es ist schwer, zu starten, wenn man nichts hat“, sagt Salah einmal. Er weiß nicht richtig, wo er überhaupt anfangen würde für dieses Hostel.

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Und überhaupt: Ist es nachhaltig, etwas aufzubauen in einem Dorf, das mit jedem Jahr trockener werden wird? Andererseits: Wo soll er hin ohne Ausbildung, wenn der Sinn, die Heimat, die Wurzeln und die Schönheit des Lebens hier sind? Wenn schon, geht mir einmal durch den Kopf, müsste er das hier genauso verkaufen. Authentisches Berber-Leben. Authentizität, das Wort, das so viele anzieht. Gehen Sie an den Ort, wo die Klimakatastrophe schon da ist. Schauen Sie live zu. Am nächsten Tag ist der Himmel wie immer strahlend blau.

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Der Ort: Tagounite, Mhamid und Umgebung

Was man da machen kann: Die obligatorischen Dromedar-Touren sind tatsächlich schön, angesichts des harten Dromedar-Rückens aber nicht länger als einen Tag zu empfehlen. Gut ist es auch, auf die Dörfer zu gehen und mit Leuten zu sprechen. Es gibt viele Möglichkeiten für organisierten kulturellen Austausch in der Gegend.

Das Museum: Heißt Seven Kasbahs Museum und ist etwa zwanzig Minuten zu Fuß von Mhamid entfernt. Für rund 2,50 Euro gibt es Führung, Minztee und Gebäck. Vor allem für kleine Projekte kann man hier ruhig was ausgeben, es gibt kaum TouristInnen in der Pandemie.

Wo man stehen kann: In Marokko überall frei. Wer trotzdem auf einen Campingplatz will, hat die große Auswahl. Auf dem Platz Hamada du Draa an der Brücke übers Wadi in Mhamid gibt es eine Waschmaschine, warme Duschen und sensationell gute Salate und Tajines.

Veröffentlicht von

Alina Schwermer

Freie Journalistin, schreibt viel für die taz, für die Deutsche Welle, aber auch für die Jungle World und wer sie sonst so fragt. Am liebsten über Sport und Reisen. Wollte nie einen Reiseblog machen und hat nicht lange durchgehalten.

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