Guys Revolution

Der FKK-Strand in der Nähe von Le Lavandou ist brechend voll. Kaum ein Millimeter zwischen sonnengebräunten Körpern am azurblauen Meer, zwischen den alten, den mittelalten, ein Strandtuch geht nahtlos ins nächste über, ein Körper in den nächsten. Die FKK-Szene ist in Rente, auch hier. Und niemand fürchtet offenkundig, was die Franzosen „la Covid“ nennen und lange Zeit eher lax handhaben.

Guy Beitrag

Vor uns humpelt Guy, französisch „Gi“, der uns den Weg weist zu diesem seinem Strand, in vielerlei Hinsicht. Er fügt sich ins Bild hier, ein jovialer 70-Jähriger mit dickem Bauch und langem Haar, der 1968 als 18-Jähriger erlebt hat und, so bekundet er glaubhaft, vorne mit dabei war. „Es war so spießig hier, aber nach der sexuellen Befreiung war es cool.“ Guy weiß, was zu wissen ist über diese Küste. Wo die Villa von Carla Bruni steht, wo der Spot für schwulen Sex ist und wo der einzige kostenlose Stellplatz für Wohnwagen. Die Bucht an der Côte d’Azur, in der heute Yachten ankern, Touristen schnorcheln und Kinder von Felsen springen, habe einst zum Schloss oben am Berg gehört. „Früher“, sagt Guy lakonisch, „waren die Reichen noch reicher als heute.“

Guy Schiffe

Guy ist einer von unzähligen alten Männern, die uns auf Reisen ansprechen. Es muss am Auto liegen. Sie bleiben dann an unserem Steyr stehen, staunen und formen zögernd die Worte: „Ist das ein….?“ „Ja, ein alter Militär-LKW.“ Es folgt eine Choreografie: die technischen Details des Wagens, ein Foto bitte, und dann versucht jeder unserer französischen Gesprächspartner, eine persönliche Verbindung zu Deutschland auszugraben. Es ist wohl Zeichen guter Nachbarschaft, dass ihnen meist irgendwas einfällt. Der Schüleraustausch in ein deutsches Kaff, der Wehrdienst, die geschiedene deutsche Ex-Frau, ein älterer Herr im Gebirge erzählt, dass seine Großmutter aus Berlin stamme, er ist Muttersprachler. Und Guy, 1950 geboren, sagt zu uns: „Ihr seid nette Deutsche, ihr schießt nicht mehr.“ Es ist eine manchmal bizarre Zeitreise in eine Generation mit völlig anderen Prägungen.

Guy Beitrag

An der südfranzösischen Küste, dort, wo das Meer so beneidenswert türkisblau und klar ist, die malerischen Felsen voller Pinien und Kiefern, deren Geruch in der Luft hängt, und der Himmel fast wolkenfrei, hat Guy sein ganzes Leben verbracht. Geboren in Hyères, und nachdem er wohl erfolgreich die sexuelle Befreiung mit auf den Weg brachte, arbeitete er als Koch und Gärtner, ausgerechnet an der Polizeischule. „Ich liebe Blumen“, so begründet er es schlicht. Heute noch pflegt er einen eigenen Garten. Und vielleicht hat er sonst nicht viel, denn er redet und redet und hört kaum auf.

Guy Beitrag

Seine Welt ist geteilt in eine des Vor-68 und eine danach. Und er fürchtet, es werde wieder wie davor. „Wegen den Arabern“, sagt Guy. Das multikulturelle Marseille und der FKK-Strand an der Küste sind ihm Gegensätze. Guy schimpft viel auf Marseille, Herzlichkeit und Hass gehen bei ihm sehr lebhaft miteinander und durcheinander. Über „die Araber“, „die Afrikaner“, „die klauenden Zigeuner“. Und Frauen wie ich, sagt er, könnten doch heute nicht mehr unbesorgt per Anhalter fahren, „wegen den Arabern“. Eine beliebte These lautet, Leute ließen sich heute nicht mehr in politisch links und rechts aufteilen, aber vermutlich ließen sie das nie. Für Guy ist Freiheit nicht die, Grenzen zu überschreiten, sondern die kulturelle Freiheit, die er durch die importierte Prüderie in Gefahr sieht.

Guy Beitrag

Wir sehen Guy noch einmal wieder, auf dem kostenlosen Stellplatz, den er uns empfohlen hat. Wir bedanken uns für die Hilfe. „Meine Familie stammt aus Italien“, führt er stolz aus, „meine Mutter hat mir immer beigebracht, Ausländern zu helfen“. Noch einmal erwähnt er, wie glücklich er sei, dass Hitler besiegt wurde. „Jetzt können wir uns alle verstehen.“ Nun ja, fast alle.

Name: Le Lavandou

Was der Lonely Planet nicht kennt: An der Côte d’Azur kennt er wahrscheinlich alles.

Was der Gastgeber empfiehlt:
Den kleinen FKK-Strand Plage du Layet, den man versteckt über einen Pfad erreicht, der von der Küstenstraße nach unten führt. Klares Wasser, am Strand nicht viel Platz, aber auf den umliegenden Felsen nett.

Essen

Wo du essen kannst: Le Lavandou ist einer dieser Touri-Orte, die im Wesentlichen aus Ferienwohnungen und Restaurants bestehen, deshalb tendenziell: je weiter weg von Strand und Hafen, umso besser. In einer kleinen Gasse ist das Restaurant „La Pignato“ mit kreativer, leckerer Küche (Fleisch mit Orangengewürz, Minze, Erdnüssen, so was zum Beispiel). Landesüblich nicht billig.

Wo der Gastgeber empfiehlt, dass du parkst: An der ganzen Küste fast nirgendwo. Die Côte d’Azur führt ein Anti-Camper-Gefecht, im Sommer sind alle freien Plätze explizit für Wohnwagen verboten. Aber nicht, hah, der Parkplatz des Supermarktes „Casino“ in Le Lavandou.

Veröffentlicht von

Alina Schwermer

Freie Journalistin, schreibt viel für die taz, für die Deutsche Welle, aber auch für die Jungle World und wer sie sonst so fragt. Am liebsten über Sport und Reisen. Wollte nie einen Reiseblog machen und hat nicht lange durchgehalten.

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