Wir betreten die neue Welt alle gemeinsam. Wir halten den Wagen auf den Bergkamm im Velebit-Gebirgsmassiv und blicken nach unten, wir beide und der alte Soldat. Unter uns erstreckt sich marineblau die Adria, mit einzelnen, kargen Inseln, die daran verstreut sind, als habe jemand eine Flüssigkeit verschüttet. Es ist warm und wundervoll. Um uns herum ragen Kalkfelsen auf, vor uns schlängeln sich die Serpentinen nach unten. Wir alle machen Fotos; der alte Mann steigt aus und fotografiert die Adria, als sähe er sie zum ersten Mal.
Der Westen Kroatiens ist anders als der Osten. Die Landschaft ist härter und hinreißender, rauer und wärmer. Unter den mediterranen Sonne formt sie sich zu unfassbaren Gebirgszügen, Wasserfällen, blassen Tälern mit kleinen, herausragenden Kalksteinen. Der Westen hat die Landschaft, der Osten hat die Menschen, sage ich in einem ersten Impuls. Aber das ist nicht ganz richtig. Der kroatische Südwesten hat Menschen, die in ihrer Herzlichkeit denen im Osten ähneln. Unser Begleiter ist einer von ihnen.
Er ist auf dem Weg ins Velebit-Massiv bei uns zugestiegen. 61 Jahre alt, deutlich älter sieht er aus. Er trägt die Spuren derer, die bescheidene Mittel haben: wenige verbliebene Zähne im Mund, den Körper voller Narben, selbst gestochene, verblichene Tattoos jener Art, die man in Berlin nicht hip fände. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen und ein paar Worten Englisch. Die Frage nach Russischkenntnissen weist er stolz zurück: „Ich bin doch kein Kommunist.“
Wir kommen klar. Mit den wenigen Worten, die er beherrscht, stellt er Fragen: Wie uns Kroatien gefällt, was wir arbeiten, ob dieses Leben nicht sehr teuer sei. Im Küstendorf Karlobag lädt er uns zum Kaffee ein und besteht darauf, dass wir mehrfach bestellen. Und wenn die Unterhaltung, und das tut sie oft, scheitert, lächelt er etwas entschuldigend.
Karlobag, ein ruhiges mediterranes Dorf, bunte Häuser, wohlhabende Küste, ist in der Vorsaison fast still. Ein deutsches Instagrammer-Paar hängt herum, zwei Senioren aus Österreich bestellen beim englischsprachigen Kellner penetrant auf Deutsch. Ansonsten treffen sich im Restaurant die AnwohnerInnen zum Kaffee. Familien angeln am Meer, eine Oma geht schwimmen. Seeigel und Krabben genießen die Ruhe. Im Café hören wir Teile der Geschichte des Ex-Soldaten, deren Zeugen wir heute sind. Der Mann, seit fünf Jahren in Pension, und auf der Durchreise. Er möchte nach Opatija, ein ganzes Stück im Norden. Warum? „Die Liebe.“
Er lächelt, zeigt uns das Foto einer Frau auf seinem Handy. Ein Auto hat er offenkundig nicht, und einen Bus über die Bergroute gebe es aktuell nicht. „Die Reise dauert sechs bis neun Stunden.“ Als er hört, dass der nächste Bus nach Norden von Karlobag erst abends komme, beschließt er, per Anhalter weiterzufahren. Für die Liebe alles. Allzu eilig aber scheint es nicht zu haben. Er bleibt bei uns, kettenrauchend. Er zeigt uns Narben auf seinem Oberkörper, Operationen am Herzen. Auf unsere halb scherzhafte Bemerkung, da sei das Rauchen aber nicht so gut, macht er lachend eine wegwerfende Handbewegung, die er oft macht. Es scheint zu bedeuten: auch egal.
Karlobag mag wie ein austauschbarer Ferienort am Mittelmeer wirken, aber das ist er nicht. Er hat eine Seele. Wir lernen sie später kennen, in einer Eisdiele bei einem unterbeschäftigten Eisverkäufer, der in der Sonne sitzt. Auch er fängt sofort ein ehrlich interessiertes Gespräch an. Die Saison hat noch nicht richtig angefangen, es gehe erst im Juni los. „Hierher kommen vor allem kranke Leute, die Probleme mit der Lunge haben“, erzählt er. „Wenn sie vor Sonnenaufgang am Meer entlang laufen, sind sie nach ein paar Wochen gesund.“ Karlobag hat dennoch keineswegs das Flair bedrückender deutscher Kurorte, überall herrscht gelassenes Leben.
Der Eisverkäufer freut sich sichtlich über die unerwartete Abwechslung. Auch er hat eine Liebe, und auch sie plagt ihn. Das ist die Eisdiele. „Im Sommer gehe ich abends hier raus, falle ins Bett und stehe um vier Uhr morgens wieder auf. Ich schlafe oft nur fünf Stunden, manchmal vier.“ Das Eis, so berichtet er glücklich, stelle er selbst her. „Es ist toll, eine Eisdiele zu haben, aber es ist unfassbar viel Arbeit.“
Urlaub könne er nur im Winter machen. Da war er mal in Deutschland, bei einem Bruder in Hamburg. Seit den Siebziger Jahren sei die Eisdiele nun schon in Familienhand, erst servierte sein Vater Eiskugeln an TouristInnen, jetzt er. „Das ist bei uns Familientradition. Aber mein Sohn weiß nicht, ob er übernehmen will.“ Der Sohn sei jetzt mit der Schule fertig, es komme die entscheidende Phase. Oft habe er aber keine Lust, in der Eisdiele zu arbeiten. „Aber wenn er dann da ist, arbeitet er doch gerne hier.“ Der Vater wünscht sich, dass seine Liebe die nächste Generation übersteht. Die Horizonte des Jungen sind vielleicht andere.
Auch die andere Liebe, die des alten Soldaten, ist kompliziert. Nachdem er länger auf dem Handy herumgetippt hat, sagt er unvermittelt, er fahre wieder zurück. Auf die Frage, warum, erwidert er „Liebe“, und macht eine wegwerfende Handbewegung. Er versucht, irgendein Problem zu signalisieren, irgendein Ende. Ich drücke Mitleid aus für das, was ich nicht verstehe. Er lacht, wie er über sein Herz lachte. Sinngemäß, so schlimm sei es eben nicht.
Und tatsächlich fährt er zurück. In den Ort, der, wie wir sehr spät im Gespräch lernen, gar nicht sein Geburtsort ist. „Ich bin in Bosnien aufgewachsen.“ Der Jugoslawienkrieg führte ihn in die Armee, danach blieb er hier. „Ich fühle mich in Kroatien daheim.“ Wenige Stunden später sehen wir bei Facebook seine Fotos von der Reise durchs Gebirge. Gepostet, als habe er es zum ersten Mal gesehen.
Der Ort: Karlobag, ein Dorf an der Adriaküste
Was man da machen kann: Gut essen, schwimmen, das wunderschöne Panorama aus Meer und Kalkfelsen genießen. Im Ort gibt es eine halb überwucherte Burgruine. Ein Stück landeinwärts liegen die Plitvicer Seen mit ihren Becken und Wasserfällen, Weltnaturerbe und wahrscheinlich der hübscheste Ort Kroatiens. Ein Ausflug lohnt sich auch wegen der tollen Route über die Berge. Die vorgelagerte Insel Pag ist sehr touristisch, aber am Nordende ist es ruhiger, mit einem tollen Olivengarten mit einem über 2000 Jahre alten Baum.
Wo man essen und trinken kann: Wir waren im Restaurant Susanj direkt im Zentrum am Hafen. Die Preise sind wie in vielen Küstenorten eher teuer, aber das Essen und der Wein waren richtig gut. Es gibt Trüffelnudeln mit Steak, Tintenfisch, aber auch günstigere Pizzen. Die Eisdiele, wo wir waren, liegt direkt am Hauptplatz.
Bei Leuten kaufen: In der Region verkaufen viele Leute Käse an der Haustür. Zum Beispiel an der Landstraße zwischen Karlovac (nicht Karlobag!) und den Plitvicer Seen, wo eine sehr nette Frau viele Sorten aus eigener Herstellung anbietet. Der Aschekäse war super.